Wir waren vertreten beim internationalen Kongress des BvNW in Berlin vom 10. Bis 11. 11. 2018. Von links nach rechts: Jutta Schaffert (Beirätin), Gisela Stoll- Krohn (1. Vorsitzende), Asha Scherbach (Beirätin), Elke Geis- Heil (Kassenwartin), Nadine Hähnel (Beirätin). Wir haben spannende Kontakte geknüpft, viel Neues erfahren und unseren hessischen Landesverband würdig vertreten.
Internationaler Kongress der Natur- und Waldkindergärten in Berlin
«Es geht um die Zukunft unserer Kinder, damit geht es auch um unserer aller Zukunft!», sagte Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft in der Videobotschaft zur Eröffnung des Internationalen Kongresses vom Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten in Deutschland. «Wir haben alle die gleichen Ziele», sagte die Bundesministerin weiter. Sie ist davon überzeugt, dass Kinder viel häufiger raus in die Natur müssen und so die Achtsamkeit für unsere Natur und Umwelt entwickeln. Diesem Engagement vom Bundesverband kommt das Ministerium nach, um es finanziell zu fördern, damit sich weitere Gedanken entwickeln können und eine internationale Vernetzung möglich ist.
370 Teilnehmer aus Deutschland und dem Ausland folgten dieser Einladung «Immer draussen – Der Erfolg geht weiter» und versammelten sich am 2. November Wochenende in Berlin in der Freien Waldorfschule Kreuzberg.
Das Video lädt zu einem Rückblick von dem Kongress in Berlin ein
Waldkindergärten sind am Puls der Zeit
Der Impuls der gemeinsamen Ziele war bei den Anwesenden zu spüren, wie ein roter Faden zog er sich durch den gesamten Kongress. Die Dynamik des Wollens war gefüllt mit reichhaltigen Impulsreferaten von inspirierenden Referenten aus verschiedenen Ländern wie Dänemark, Tschechien, Kanada, Asien und Deutschland. Es war eine Fülle an zügig aneinandergereihten Vorträgen, die keine kleinen Pausen zuliessen, so dass man sich an den grossen Hörsaal der Universität zurückerinnert fühlte. Die Anwesenden waren hungrig nach den Inhalten der Vorträge und drückten dies mit einem grossen anschliessenden Fragebedarf an die Referenten aus. Beeindruckt von den vielfältigen Naturbewegungen für Kinder, die in den verschiedenen Ländern aktiv sind, ist das legitime Bedürfnis nach Anerkennung für die wertvolle Arbeit in den Waldkindergärten weltweit gross.
Während in Berlin draussen an diesem Wochenende, der Herbst sich nochmals von seiner schönsten Seite zeigte, lauschten, tanzten, sangen, spielten drinnen alle in den angebotenen Workshops und tauschten sich über ihre gemeinsamen Ziele aus. Die Räume waren gut gefüllt und starke Lieder und stimmungsvolle Tänze aus dem Kinderwald mit dem Liedermacher Unmada Manfred Kindel liess Workshop Teilnehmer mit ausgelassener Freude und Spass in das Geheimnis der Kraft der Rhythmusspiele, Bewegungs- und Tanzanleitungen eintauchen.
Deutsche Waldkindergärten und ihre Geschichte
Frau Dr. Christiane Richard-Elsener, Autorin und Koordinatorin der interdisziplinären Arbeitsgruppe Draussenkinder im ABA Fachverband, plädierte in ihrem Vortrag dafür, das Kinder anregungsreiche Freiräume draussen brauchen und sichere Wege, auf denen sie eigenständig unterwegs sein können.
Helga Forssmann nahm alle auf die Reise der Entstehung des ersten Wanderkindergartens in Deutschland mit, der 1968 von Frau Sube gegründet wurde. Amüsiert unterhaltend erzählte Helga Forssmann, wie Frau Sube an ihrem dreiundsiebzigsten Geburtstag ihr morgens sagte: «Nur damit Sie es wissen, heute Mittag sage ich den Eltern, dass Sie ab Montag, den Kindergarten leiten.» Von da an, von 1998 bis heute, leitet Helga Forssmann begeistert und voller Leidenschaft den Wanderkindergarten alleine.
Petra Jäger, Gründerin des ersten anerkannten Waldkindergartens Deutschland in Flensburg wird oft gefragt, ob sie nach 25 Jahren noch Leidenschaft verspüre, täglich und bei jeder Wetterlage mit den Kindern in den Wald zugehen. Ihre Antwort ist: «Ja, denn es ist ein Geschenk für mich, die grossen und kleinen Abenteuer mit der Gruppe in der Natur zu erleben.» Sie freut sich darüber, dass die Kinder sich weltweit – egal wo sie sich befinden – in der Natur wohlfühlen, sich entwickeln und gestärkt in ihre Zukunft gehen. Seit 2017 begleitet sie die Gründung der «Naturschule Flensburger Förde» und ist Teil des Organisationsteams vom Internationalen Tag des Waldkindergartens «Naturekids worldwide hand in hand». Dies nahm sie auch zum Anlass im Anschluss an ihren Vortrag alle Teilnehmer, die das Waldkinderlied «Ich bin ein Waldkind» kannten, geschrieben von Marius Tschirky, auf die Bühne einzuladen. Über 30 Personen sangen in ihrer jeweiligen Sprache, die 1. Strophe und den Refrain des Liedes, das es mittlerweile in 9 Sprachen gibt.
Der Text und die Noten können gratis heruntergeladen werden. Die Vorsitzende vom Bundesverband Ute Schulte-Ostermann äusserte sich zu diesem Aktionstag: «Es ist fantastisch, dass es nun diesen Tag gibt!». Initiiert wurde der Tag von Andreas Niesel aus Niedersachsen. Petra Jäger lud auch alle ein zum 2. Aktionstag nächstes Jahr vom 3.-5. Mai 2019 zur Internationalen Konferenz nach Zürich zu kommen. Man ist dabei eine internationale Plattforum aufzubauen, die an diesem Wochenende in der Schweiz gestärkt werden soll. Dort können dann alle zusammen mit dem Musiker Marius Tschirky rund ums Feuer den Tag feiern und mitsingen. Der Samstag und Sonntag ist für den fachlichen Austausch mit den 15 Botschafterländern der Naturkinder gedacht.
Dänemark, Tschechien und Kanada leben das Konzept der Waldkindergärten aus Überzeugung
Marlene Power aus Kanada, machte ihrem Namen alle Ehre, als begeisterte Outdoor-Person, soziale Aktivistin, Umweltschützerin und Anwältin für das Recht der Kinder in der Natur zu sprechen. Sie gründete die erste naturnahe Forest Preschool und Forest School in Kanada und eine internationale Initiative zur Förderung naturbasierter Bildung durch professionelle Wald- und Naturschulen. Marlene Power entwickelte die Forest School Canada als eine Initiative im Rahmen der Child and Nature Alliance of Canada. Mit ihrer Power war sie die einzige die spontan ihren Workshop im Freien veranstaltete.
Tereza Valkounová und Johana Passerin aus Tschechien eroberten mit ihrem Vortrag die Herzen der Teilnehmer. In ihrem auf Deutsch gehaltenen Vortrag überzeugten sie mit ihrem Engagement für die Entwicklung der Waldkindergärten in Tschechien. Sie sind beide sehr versiert und konnten viel praktische Erfahrungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern sammeln. Sie leben und setzen sich in ihrem Land mit ihrer vollen Kraft und Einsatz dafür ein, das Kinder ein Recht haben, in direktem Kontakt mit der Natur zu leben und zu lernen, weil die Natur für Kinder von zentraler Bedeutung ist.
Abschliessende Rednerin am Samstag war Jane Williams-Siegfriedsen aus Dänemark. Die ehemalige Grundschullehrerin ist heute Autorin und Direktorin von Inside-out-Nature. Ihre Sorgenkinder, wie sie in ihrem Referat dem Publikum mitteilte, seien jene, die kein Risiko eingehen. Sie beobachte einen immer stärker werdenden weltweiten Trend, Kinder «in Watte» zu packen und ihnen damit jedes Risiko zu nehmen. So dass, Jane Williams-Siegfredsen legitim fragte, wohin das die nächste Generation führen wird. Der Samstagabend wurde abgerundet mit Kreistänzen und dem norwegischen Dokumentationsfilm «Kindheit» von der Regisseurin Margreth Olin.
Selbstwirksamkeit ist Voraussetzung, um Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen
Torsten Heuer, Dipl.-Sportlehrer aus Bad Malente erfrischte mit seinem Vortrag, so dass alle Teilnehmer am Sonntagmorgen gleich wieder richtig in Fahrt kamen und wach waren. Als Sportlehrer bewegte er sein Publikum zum Lachen und erntete kräftigen Applaus, wenn er über Fähigkeiten und Fertigkeiten erzählte, die die Schulreife der Kinder unterstützten. Es folgt eine Anekdote aus seinen Praxiserfahrungen: Ein Besucher sagte mal in einem bayerischen Waldkindergarten: «Ah, hier sieht es aber ganz schön chaotisch aus, was hier alles am Boden rumliegt.» Daraufhin die Erzieherin: «Nein, das sind alles lauter Ideen, die hier rumliegen.» Für ihn ist es die Kunst der Pädagogik, die Kinder in ihrer Selbstwirksamkeit, selber Verantwortung für Fähigkeiten übernehmen zu lassen.
Gleich im Anschluss beleuchtete der Vortrag mit dem hochkarätigen Referenten Prof. Dr. Wolfgang Beudels von der Hochschule Koblenz, Fachbereich Sozialwissenschaften das Recht des Kindes im «Hier und Jetzt» und «einfach Kind sein dürfen». Dieses Recht ist durch den erheblichen Druck von aussen, ihnen eine bestmögliche Zukunft zu ermöglichen, stark gefährdet. Annette Kessler, Oberstudienrätin an der Elisabeth-Selbert-Schule in Hameln (2017 gewann sie den deutschen Schulpreis) erzählte von ihrer inspirierenden Reise zu norwegischen Kindertagesstätten im Rahmen eines Erasmusplus-Projektes.
Der Winter in Norwegen dauert lang und ist eisig und doch sind die Kinder bei Wind und Wetter draussen. Sie erzählte, dass Erzieher in Waldkindergärten gerne auch auf ihren Händen sitzen, um den Kindern mehr Selbständigkeit zu ermöglichen. Fragen Kinder im Winter nach einer Umziehaktion den Erzieher, ob sie so angekleidet rausgehen dürfen, dann weist er sie an den aufgehängten Spiegel in der Garderobe. Er lässt sie selbst prüfen, ob sie ausreichend warm angezogen sind, anstatt der Erwachsene zu sein, der sein Einverständnis dazu gibt und so die Kinder von der Bewertung eines Erwachsenen abhängig macht.
Die Offenheit für Waldkindergärten zeigt eine positive Entwicklung in Asien
Über die Entwicklungen der Natur- und Waldkindergärten in Asien haben von Frau Dr. Hee Jung Chang aus Südkorea, Herr Wang Di aus China und Frau Hiroe Kido aus Japan anschaulich und informativ über ihre Länder berichtet. Das Konzept der Waldkindergärten verbreitet sich dort weiter. Die ersten Waldkindergärten in Japan entstanden in den 1980er Jahren. Inzwischen hat sich dort ein grosses Waldkindergarten Netzwerk aufgebaut mit landesweit 208 Mitgliedern. Sie verbringen das ganze Jahr täglich in der Natur. Diese Kindergärten werden von privaten freiwilligen Elterngruppen, gemeinnützigen Organisationen oder privaten Kindergärten betrieben.
Herr Wang Di organisiert seit einigen Jahren deutsche Outdoor-Weiterbildungen und Vorträge in China, ausserdem berät er in China Institutionen, die Natur- und Waldkindergärten gründen möchten. Frau Dr. Hee Jung Chang ist federführend für die Forschungsarbeit mit dem koreanischen Forstamt für die Prüfung «Welche Art von Waldkindergärten für Korea passt». Die Forschungsergebnisse wurden veröffentlicht und das Interesse an Waldkindergärten verbreitet sich weiterhin in Korea.
Der Bundesverband hat einmal mehr einen wunderbaren Kongress veranstaltet. Dem Bundesverband als Veranstalter des Kongresses der sich ehrenamtlich für diesen Anlass einsetzte, gebührte am Ende ein tosender Applaus. Die weitgereisten Teilnehmer sind mit gut gefüllten Rucksäcken an inspirierenden Ideen, fachlichen Inhalten und tragender Motivation aus diesem Kongress in ihre Länder, Orte und Waldkindergärten zurückgereist. Und wer weiss, wer von ihnen im Mai 2019 in Zürich dabei sein wird.
Redaktionsleitung: Christoph Lang, Nadja Hillgruber
Redaktionelle Gestaltung und Umsetzung: Nadja Hillgruber, www.infothek-waldkinder.org
Bildnachweis: Fotografie & Video © Nadja Hillgruber
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